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Tagebuchaufzeichnungen von Ruth Andreas-Friedrich.
Aus: Ruth Andreas-Friedrich, Der Schattenmann, Berlin 1947, S. 108-110.

Sonntag, 28. Februar 1943

Seit heute morgen um sechs Uhr fahren Lastautos durch Berlin. Eskortiert von bewaffneten SS-Männern. Halten vor Fabriktoren, halten vor Privathäusern. Laden Menschenfracht ein. Männer, Kinder, Frauen. Unter den grauen Planverdecken drängen sich verstörte Gesichter. Elendsgestalten, wie Schlachtvieh zusammengepfercht und durcheinandergewürfelt. Immer neue kommen hinzu, werden mit Kolbenhieben in die überfüllten Wagen gestoßen. In sechs Wochen soll Deutschland "judenrein" sein. Wir laufen herum. Wir telephonieren. Peter Tarnowsky - weg. der Verleger Lichtenstein - weg. Unsere jüdische Schneiderin - weg. Unser nichtarischer Hausarzt - weg. Weg - weg - weg! Alle ohne Ausnahme ......

Sonntag, 7.März 1943

Wenigstens einige sind wiedergekehrt. Die sogenannten "Privilegierten". Die jüdischen Partner rassisch gemischter Ehen. Abgesondert von den übrigen, hat man sie vergangenen Sonntag in ein Sammellager geschafft. Zur Prüfung und endgültigen Beschließung. Noch am selben Tage machten sich die Frauen jener Männer auf, ihre verhafteten Ehegefährten zu suchen. Sechstausend nichtjüdische Frauen drängten sich in der Rosenstraße, vor den Pforten des Gebäudes, in dem man die "Arischversippten" gefangen hielt. Sechstausend Frauen riefen nach ihren Männern. Schrien nach ihren Männern. Standen wie eine Mauer. Stunde um Stunde, Nacht und Tag.

In der Burgstraße liegt das Hauptquartier der SS. Nur wenige Minuten entfernt von der Rosenstraße. Man war in der Burgstraße sehr peinlich berührt über den Zwischenfall. Man hielt es nicht für opportun, mit Maschinengewehren zwischen sechstausend Frauen zu schießen. SS-Führerberatung. Debatte hin und her. In der Rosenstraße rebellieren die Frauen. Fordern drohend die Freilassung ihrer Männer. "Privilegierte sollen in die Volksgemeinschaft eingegliedert werden", entscheidet am Montagmittag das Hauptquartier der SS. Wen das Zufallsglück traf, einen nichtjüdischen Partner geheiratet zu haben, der darf sein Bündel schnüren und nach Hause gehen. Die anderen werden in Güterzüge verladen und abtransportiert. In unbekannter Richtung - mit unbekanntem Ziel.

[...]

Dienstag, 9. März 1943

Die Militärs sollen sich weigern, noch weiter mitzumachen. Hinrichs berichtet es uns. Ein Umsturz sei geplant. Ein regelrechter Regierungsputsch. "Stammt die Nachricht von 'ihm'?" erkundige ich mich vorsichtig. Er nickt. "Die Nachricht wohl, aber nicht die Absicht. Das Militär muß den Anstoß geben. Sie haben die Waffen. Sie sind die einzigen, denen ein solcher Versuch - vielleicht - gelingt. Wir anderen können nur nachfolgen. Daß wir dann bereit sind... bereit, mit einer vernünftigen Regierung auf den Plan zu treten, daran arbeiten wir. Daran arbeitet 'er'. Nun schon seit fünf Jahren."

Mittwoch, 10. März 1943

Was geht in München vor? In München soll irgend etwas geschehen sein. Etwas Illegales, Rebellisches. Die Studenten hätten sich erhoben, erzählt man. Viele tausend Flugblätter seien verteilt worden. Anschriften stünden an den Mauern: "Nieder mit Hitler! Es lebe die Freiheit!" Wir horchen herum. Wir brennen, Genaueres zu erfahren. Geht der Sturm weiter? Hat man ihn schon erstickt? Es wird davon gesprochen, daß Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofes, vor kurzem in "Sondermission" nach München gefahren sei. Die Wahrheit! Die Wahrheit wollen wir wissen!