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Charlotte Freudenthal, 1991
 
Vorbemerkungen
 
Frau F. war seit Anfang der Dreißiger Jahre mit ihrem ersten Mann verheiratet. Ihr jetziger Mann hat die damaligen Ereignisse nicht erlebt, kennt sie aber gut aus ihren Erzählungen. Manchmal hilft er bei dem Gespräch mit Stichworten aus. Das ist auch ein Grund, warum er beim Gespräch teilnimmt. Frau F. war zum Zeitpunkt der Fabrik-Aktion 31 Jahre alt.
 
Interview mit Frau und Herrn Freudenthal - November 1991
 
Frau F.: Am 27 Februar habe ich das erfahren, daß mein damaliger Mann dahin geht; das wußte ich nicht. Mein Mann war etwas behindert. Er sagte noch am Freitag, das war ein Tag vorher, daß das Haus, in das er wollte, abgebrannt war, und er sich eine neue Arbeit suchen mußte. Sofort hatte man eine neue Arbeit. So war das ja damals.
 
Ja, dann kam er nicht nach Hause - und er kam nicht nach Hause, und wie gesagt, er war immer sehr pünktlich.
 
Und dann wollte ich ein schönes Essen machen, eine schöne Kartoffelsuppe gab es damals - bei uns war das schon ein schönes Essen - und er kam nicht.
 
Dann hatten wir vor unserem Haus so ein Milchgeschäft, sagte man damals, und das waren keine Nazis!
 
Die hat zu mir gesagt: Frau Israel, Sie können - weil mein erster Mann so hieß - Sie können jederzeit anrufen, - es war doch verboten anzurufen - ich ruf Sie auch an, wenn irgendetwas ist. Es ist doch schön, wenn man so jemanden hat ... Und ich nun gleich rüber - es war ungefähr 12.00 Uhr - und um halb 11.00 wollte er doch da sein.
Ich bin dann rübergelaufen und habe gefragt, "Ist irgend etwas gewesen?" - aber es war nichts.
 
Aber sie guckte mich immer so traurig an, so traurig - weil sie wußte, was los war. Eine Geschäftsfrau, die sieht so etwas ja. Die Autos sind ja den ganzen Tag gefahren. "Ich komm wieder nachher". "Ja", hat sie gesagt, "Sie können jederzeit wiederkommen."
 
Es ist ja wunderbar, wenn Leute ein bißchen Mut haben, nä! Da haben sie ja alle geguckt, die kannten mich ja alle schon. Dann war nachher Ladenschluß, war ein Sonnabend. Ich war fertig, bin rübergelaufen und hab gesagt: "Jetzt schließen Sie Ihren Laden zu." Da hat sie gesagt: "Nein, wir rufen Sie dann. Wir schicken unsere Tochter rüber." Aber war nichts, war nichts. Mit einem Mal sehe ich meine Mutter kommt an mit meinem Bruder, der war 13 Jahre, mein Bruder, war so ein Nachkömmling. Und da habe ich gesagt, als ich ihnen entgegenrannte, über den Damm: "Lebt er noch?" Und sie sagte: "Ja"!
 
Frage Projektgruppe Rosenstraße: "Und woher wußte Ihre Mutter von Ihrem Mann?"
 
Frau F.: Ja, das wäre mal interessant zu wissen, woher sie das wußte - meinen Sie nicht?! Ich soll mich beruhigen, beruhigen, hat meine Mutter gesagt. Ich soll die ganze Zeit gezittert haben. Man selber merkt das ja nicht so.
 
Und da habe ich meine Mutti in den Arm genommen und gesagt: "Ich bin doch ganz ruhig!" Und dann habe ich gesagt: "Laß uns reingehen." Und dann will ich alles in Ruhe wissen - sehen Sie, auf der Straße kann man so etwas schlecht machen, wir wohnten Parterre.
 
Und dann sagte meine Mutter: "Ich weiß schon alles, was Du mir jetzt gleich erzählen willst. Der ist nicht tot, der ist in der Levetzowstraße." (Zentrale Aufnahme- und Selektionsstelle in den ersten Tagen bei der sog. 'Fabrikation'.) Ich sage: "Woher weißt Du das?" Und da sagt sie: "Es hat da jemand angerufen."
Aber nun muß man wieder die andere Seite wissen, wie das mein Mann erlebt hat.
 
Das Telefon klingelte, mein Bruder war nah dabei, und da hat er gesagt (der Anrufer): "Kennen Sie einen Juden?"
 
Meine Mutter sagte "Nein!" - aus Angst. Und ich sagte: "Ja und wie weiter?" Und sie sagte, daß sie gesagt hat, daß er einen Stock hat. Ihr Schwiegersohn! Das Bürschchen! Und er hat gesagt, daß er in der Straßenbahn mit mehreren Juden und zwei Polizisten dahingefahren ist, in die Levetzowstraße. In die Synagoge, die da damals noch stand - steht die noch da? Einen Gedenkstein haben sie dahin gemacht. So ein marziales Ding aus Stein.
 
Ja, nun wußte ich doch schon etwas, nicht? War mir noch nicht genug. Ich habe mir noch schnell Sachen eingepackt. Ich hatte sowieso schon alles gepackt. Die mußten nur noch in eine Rolle. Er hatte ja nichts dabei. Die haben ja alle nichts gehabt. Die mußten ja alle mit, so wie sie waren, und er ja auch. Und dann habe ich den Jungen noch zum Bäcker geschickt, damit er was zum Essen holte, Brötchen hat er so gerne gehabt, hach, dann hab ich noch schnell was geschrieben. Und ich hab gedacht, das könnte ich ihm so abgeben. Aber das war nicht gleich. Das hat erst an dem Tag gereicht, wo sie mit dem Maschinengewehr auf uns, da habe ich das erst abgeben können, nicht?
 
Frage Projektgruppe Rosenstraße: "Wissen Sie noch, an welchem Tag die Maschinengewehre zum ersten Male auf Sie gerichtet wurden?"
 
Frau F.: Ja, wissen Sie, das können wir uns ausrechnen, am Sonnabend ist er reingekommen, und das war sechs Tage später, also war es der Freitag.
(...) Wenn mich jemand unterbricht, muß ich erst immer überlegen .... Also, ich hab sie dann alle beide mitgenommen, ich sag: "Zur Polizei". Trotzdem wollte ich zur Polizei, ich meine, Levetzowstraße, es kann ja auch woanders sein, und ich wußte, die waren immer sehr nett zu mir, die Polizisten hier. Ich sage: "Mein Mann war doch hier, heut morgen, inzwischen ist es doch schon dämmerig geworden." Sagt der Polizist: "Ja, in der Rosenstraße."
 
Da, wo die Synagoge steht, - ich war nie in der Rosenstraße - steht die Synagoge dort noch? Keine Ahnung, wo die Rosenstraße war, ich war nie da gewesen. Hatte mich immer in Charlottenburg, in unserer Ecke aufgehalten.
 
Da hat dann der Polizist gesagt: "In den und den Zug müssen Sie sich setzen", genauer wüßte er das auch nicht, "und da müssen Sie sich dann durchfragen."
 
Wir brauchten gar nicht weiterfragen, denn als wir ausstiegen aus dem Zug, da hörten wir schon so ein Schreien - so ein Brüllen und Rufen. Wir haben immer gesagt, immer im Takt: WIR WOLLEN UNSERE MÄNNER WIEDERHABEN! Das war natürlich die Hauptsache überhaupt.
 
Frage Projektgruppe Rosenstraße: "Haben Sie noch eine Vorstellung, wie viele das waren?"
 
Frau F.: Ja, Moment ... Ich dachte, der läßt uns da rein. Ich fragte: Warum kommen wir nicht da rein? Na, einfach reinstürmen, habe ich gesagt. Aber haben sich wieder nicht getraut, die anderen, nicht ...
 
Wir waren wohl hundert gewesen, - die waren auch alle da, weil ihre Männer nicht nach Hause kamen von der Arbeit, da sind sie auch alle dahin gegangen.
 
Damals war man nicht so angezogen wie heute, wie jetzt, so mit Pelzen. Es war kalt, ein kalter Tag. Man hatte auch keine solchen Schuhe, man hatte Überschuhe damals. Mir haben immer bloß die Füße gefroren, oben herum nicht.
 
Wir standen ja so dicht zusammen, umfallen konnte man ja nicht, das war gar nicht möglich, wir waren ganz fest. Also, man sagt immer, vier auf einen Quadratmeter, wenn man schätzen will, - bei uns waren es bestimmt fünfe, wir standen ganz gequetscht ...
 
Da standen so hundert Leute hinter soner Absperrung. Ich bin dann drunter her und bin dann so entlang gerannt. In den ersten Hausflur wollte ich rein, da war so einer, der hat mich nicht reingelassen. Da habe ich ihm noch einen Stoß gegeben. "Wo wollen Sie denn hin?" "Ich will meinen Mann haben! Der soll hier sein, hat mir die Polizei gesagt!" Da sagte er noch "Mischehe?" Ich sagte "Ja!" Der hat mir gesagt "Rosenstraße" und ich sag: "Wo ist denn nu dat schon wieder?" - Und der hat mir dann auch den Weg gesagt.
 
Und da waren wir dann so zweihundert Leute, also fast nur Frauen, denn die Männer waren seltener dabei. Und die hat dann gesagt: "Ja, ich arbeite ja, dann muß ich nachts." Ich habe auch gearbeitet, aber ich war selbständig - das ist ja nun viel besser, nicht?
 
Ja, ich war jeden Tag da, jeden Tag - aber war leider immer erst um elf da, weil ich vorher woanders hinging, nicht? Wo ich meinen rausholen wollte, nicht? Ich war sogar da im Gestapo-Gebäude, wo die Foltern waren, aber ich wußte nicht, daß im Keller gefoltert wurde. Das war in der 'Prinz-Albrecht-Straße'. Dort mußte ich alles erzählen, - das habe ich dann auch gemacht. Und nachher bin ich dann ein bißchen dreist geworden, und dann haben sie mich rausgeschmissen. Ich habe nicht mal gewußt - das habe ich nicht gewußt, daß da unten die Folterkammern sind.
 
Mir wurde doch ein bißchen mulmig, ich hatte da so einen Ausweis, und den habe ich gezeigt. Dann hat er da angerufen, und dann kamen die, dann kamen zwei so SS-Leute, haben irgendetwas gequatscht, und dann bin ich mitgegangen. Na also, wenn die jetzt meinen Ausweise haben - den will ich wiederhaben! Und dann war da so etwas - habe ich das erste Mal gesehen - Glastüren gehen auf und zu; heute ist ja so etwas nichts besonderes mehr - gib's ja überall. Ja, dann haben sie mich so dahin gebracht, einer so mit dem Maschinengewehr, so einem Bajonett - ich hab ja keine Ahnung davon - so richtig unter militärischer Bewachung, konnte mir gar nichts passieren. Und da haben die mich dann ausgefragt, noch und noch.
 
Und dann hab ich dem SS-Fritzen so eine Antwort gegeben, da hat er mich rausgeschmissen! Der hatte mich angeschnauzt: "Wie können Sie als deutsche Frau mit einem Juden verheiratet sein?!" Und da hab ich zu ihm gesagt: "Wie würden Sie sich denn verhalten, wenn Sie unter einem anderem System mit einer mißliebigen Frau verheiratet wären? Hätten Sie sich dann von ihr getrennt und Ihre Frau ausgeliefert?"
 
Ich auch gesagt, und wenn Sie meinen Mann mir wegnehmen, ich wäre keine bessere Frau, keine bessere Deutsche. Furchtbar...
 
Mein Mann hat ja gesagt - wenn sie dich mal abholen, ich laß dich nicht los! Und nun ging es nun gar nicht, und mein Mann hat gesagt, na Gottseidank, daß das so war ... So bin ich einfach weggegangen morgens, und du konntest dich da nicht dazwischen mischen ..., denn wenn ich dabei gewesen wäre, hätten sie uns alle beide totgeschossen.
 
Und erst da ist es uns so ergangen, - und wir haben es aber die ganze Zeit gewußt. Und es kamen noch mehrere, dreimal kamen noch SS-Leute in meine Wohnung, und die wollten ihn abholen, aber ich sag: "Mensch, der ist doch schon längst abgeholt" und trotzdem haben sie alle Schränke aufgemacht und alles angeguckt ...
 
Und ich war dann so müde - wenn man den ganzen Tag unterwegs ist, und abends dann erst, wenn es dunkel ist, nach Hause kommt, also ich war furchtbar müde, und ich wollte gar nicht aufmachen, aber ich dachte: Na, dann hauen sie mir die Tür ein. Wir haben ja auch den Stern an der Tür draußen, ja den gelben Stern.
 
Frage: "Wie lange, wie oft waren Sie in der Rosenstraße?"
 
Frau F.: Von elf, weil ich ja vorher was anderes versucht habe, bis es dunkel wurde. Es war ja auch immer so schrecklich kalt.
 
Und am achten Tag, wenn der erste ein Sonnabend war, muß es ein Sonntag gewesen sein, wurde mein Mann entlassen.
 
An dem Tag arbeitete ich in einem Geschäft. Ich habe das so nebenbei gemacht, ein Milchgeschäft war das. Da kommt ein Herr rein, legt mir so ein Zettelchen, so ein kleines Zettelchen war das bloß, auf den Tisch und da steht drauf: Herr Israel wird am Sonntag entlassen. Und dann ging er raus.
 
Bleiben Sie doch mal hier, habe ich gesagt, nicht? Und ich hab das gar nicht geglaubt, hab ich zu meiner Chefin gesagt. Doch, hat die gesagt, doch, das stimmt, - und sie hat mich gar nicht nach Hause gehen lassen, weil doch Sonnabend war.
(...)
 
Fleischkarten hat er gehabt, aber die waren alle durchgestempelt. Ich hab welche gekriegt. Naja - was machste denn als Frau? Man gibt alles dem Mann ... Auch Butter war nicht zulässig, Brot auch nicht. Und hier war dann "Jude" drauf. - Na, da hab ich ja ein Ding gedreht, wie ich bei meiner Tante war, nicht?
 
Als ich bei meiner Tante war, bin ich immer auf den Markt gegangen. Und ich stand da an, und es gab Fleisch am Fleischerstand. Da hab ich gesehen, wie sie alle die Karten abgaben und da dachte ich, das mache ich auch so ...
 
Und der hat die Karten immer nach unten gelegt. Als ich ihm die Karten geben will - und ich war die letzte - da kommt so eine Böe, und alles fliegt weg.
 
Ach, dachte ich mir, nun ist alles vorbei, und da sammelt der alles auf, aber da war es noch nicht so, da hatte es nur ein "J". Und da sagt er, - ich hab immer geschwindelt noch und noch - was ist denn det?, det kenn ick ja jarnich, - die da draußen haben ja nichts. Das "J", das "J", was heißt denn das? Und dann hat er sich die Frage selber beantwortet, und gesagt: "das heißt 'Jugendlicher', nicht". Und ich hab gesagt "jaja" ... Ein bißchen schwindeln muß man ja ... Ja, und es hat mich immer geärgert, wenn ich zu jung aussah, nicht? Und dann sagt er: "Sie sind verheiratet, nicht wahr?" und ich sag "ja" und dann sagt er: "Haben Sie Kinder" und ich sag "Ja". Stimmt gar nicht. Hab ich gar keine Kinder. (Gelächter)
 
Aber da wußte ich, jetzt mußte aufpassen, damit nichts Schlimmes passiert. Und da sagt er: "Und der Mann, wo ist der?" - Und ich sag "in Rußland!" - Das ist schon was ganz Schlimmes. Rußland war damals ja das Schlimmste. "Ach Gott o Gott", sagt er, "So eine nette Frau - und so jung sind Sie. Und drei Kinder haben Sie schon?" Und ich dachte, "Mensch, da haste viel zuviel gesagt. (Erneut Gelächter)
 
Ich war 23 Jahre oder wieviel, ich weiß nicht. Da sagt er ... Ich hab gesagt, eins, das waren Zwillinge ... - Da hört sich die Sache gleich ein bißchen anders an. Ich hab immer geschwindelt. Ja, dann sagt er: "Dann müssen Sie ja was kriegen, nicht? Drei Gören, die können ja schon was verknusen". Das war ein richtig Netter. Der hat mir so viel gegeben, daß ich es kaum noch tragen konnte.