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Charlotte Rosenthal
 
Entnommen aus: Jochheim, Gernot (2002) Frauenprotest in der Rosenstrasse Berlin 1943. Berichte - Dokumente - Hintergründe. Teetz: Hentrich & Hentrich. S. 66.
 
In der Ausgabe der »Berliner Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland« vom 18. Februar 1955 findet sich im Berliner Teil in der Rubrik »Das interessiert BERLIN« und der Überschrift »Hinterbliebene bitte melden« u. a. diese Aufforderung:
 
»Auch die Teilnehmer des Demonstrationsmarsches der »arischen« Ehefrauen in der Rosenstraße wollen sich bitte beim Berliner Büro für Wiedergutmachung melden. «
 
Der hier wiedergegebene Brief von einer Charlotte Rosenthal ist eine der Reaktionen auf diese Aufforderung. Er enthält u. a. den Hinweis, daß gegen die Protestierenden mit dem Einsatz von Waffengewalt gedroht worden ist und ergänzt somit auch den Bericht von Charlotte Freudenthal.
 
 
Charlotte Rosenthal
Berlin W 30
Passauer Str. 819
Tel. 24 5901

Berlin, den 21, Februar 1955

 
Betr. Meldung zur Demonstration »Arische Ehefrau« Rosenstr.
 
Am 27. Februar 1943 wurde mein Mann »Jacques Rosenthal« von seiner damaligen Zwangsarbeitsstelle »Fa. Seidel, Berlin, Triesemerstr, von der SS abgeholt und zunächst nach dem »Clou« transportiert und von dort am gleichenAbend nach derRosenstraße.
 
Ich habe an mehreren Tagen an den Demonstrationen mit einer Frau Schwarz, auch Passauer Str. (inzwischen nach Amerika ausgewandert, Adresse kann nachgereicht werden), teilgenommen.
 
Als der Scharführer »Schneider«, der meinen Mann 1 Jahr zuvor verhaftete und den ich aus eigenen Verhören kannte, gerade einen neuen Transport aus dem »Clou« abnahm, bat ich um Auskunft, ob sich mein Mann in der Rosenstr. befindet. Er wies mich mit den Worten ab, falls ich nicht sofort wegginge, werde ich abgeführt.
 
Ein anständiger Schupo, der am Eingang Wache hielt, verhalf mir durch einen Trick zur Feststellung, daß mein Mann unter den Verhafteten war (ich verlangte nämlich die Wohnungsschlüssel).
 
Es haben sich, soweit man sich noch nach 12 Jahren aller Einzelheiten erinnern kann, unglaubliche Szenen abgespielt. Ich erinnere mich noch eines Auftritts: In meiner nächsten Nähe stand eine Frau mit ihrem Bruder, der in Uniform und gerade auf Urlaub war, im übrigen waren mehrere Wehrmachtsangehörige unter uns, auf einen SS-Mann zuging und sagte, wenn mein Schwager nicht freigelassen wird, gehe ich nicht wieder an die Front. Der SS-Mann drängte ihn zurück und drohte mit Abführung. - Die Stullen, die ich täglich meinem Mann hineinschickte, hat er nie bekommen.
 
An einem Tage während der Inhaftierung in der Rosenstr. nahmen unsere Demonstrationen einen sehr scharfen Höhepunkt an, unsere Sprechchöre ertönten: »Gebt uns unsere Männer frei.« Darauf gab der Lager-Sturmführer Kroll seiner SS den Befehl, gegen die revoltierende Menge mit Waffengewalt vorzugehen. »Straße frei oder es wird geschossen.« Ich war unter dem Teil der Menge, die nach der Spandauer Brücke abgedrängt wurde.
Obigen Bericht habe ich nach bestem Wissen und Gewissen abgegeben.
 
gez. Charlotte Rosenthal
geb. Malechi