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Interview Herr
K.
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- Also ich habe mit den Namen und
Daten ein wenig Schwierigkeiten, weil ich damals erst 13 Jahre alt
geworden war.
-
- Bei uns hat es so begonnen. Es
gab damals Lebensmittelkarten. Die hat sonst meine "arische,
christliche" Mutter abgeholt. (Mein Vater wollte vermeiden,
Behörden zu besuchen.) Das klappte über Jahre. An diesem
Februar kam meine Mutter - das kann am 27. Februar 1943 gewesen
sein, denn für den ersten März gab's ja die neuen
Karten, das hab ich mir jetzt erst überlegt - an diesem Tag
kam meine Mutter unverrichteter Dinge zurück. Sie hatte die
Lebensmittelkarten mit dem aufgedruckten "J" nicht für uns
bekommen. Also die Karten für meinen Vater, meine Schwester
und mich. Wir mußten selber die Karten in Empfang nehmen.
-
- Wir mußten also zur
Kartenstelle. Die Kartenstelle, bei der wir unsere
Lebensmittelkarten abholen mußten, war in der Sybelstr. 2-4.
Das ist die heutige Ricarda-Huch-Schule. Wir sind in das für
unseren Buchstaben zugewiesene Zimmer gegangen und sind dort von
einem Mann aufgefordert worden, ihn zu begleiten. Er brachte uns
(meinen Vater, meine Schwester und mich) in ein leeres
Klassenzimmer. Dort sind wir drei eingeschlossen worden. Das war
morgens oder vormittags. Nach und nach kamen noch andere Personen,
die man mit uns dort einschloß. Zum Teil kannte mein Vater
die Leute, denn er begrüßte sie. Mir waren sie
unbekannt.
-
- Meine Mutter brachte uns gegen
Mittag noch ein warmes Essen in diesen Klassenraum. Sie ist also
in den Raum wieder hereingelassen worden. Ich kann mich noch genau
an die Szene erinnern: mein Vater machte da einen
fürchterlich zusammengebrochenen Eindruck. Er wußte
wesentlich besser als wir Kinder, was passieren würde. Ich
schämte mich so ein bißchen, weil er meiner Mutter die
Situation dadurch besonders schwer machte. Denn es ging ja dabei
um ihre Kinder und ihren Mann und er hatte sich wesentlich weniger
im Griff als meine Mutter. Mein Vater hatte Angst. Er wußte,
das würde wahrscheinlich sein letzter Tag in Berlin sein. Wir
Kinder - ich zumindestens - wußten es nicht.
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- Wir wurden dann aus der
Sybelstraße mit dem LKW weggebracht. Da stand meine Mutter,
sah uns, wie wir auf den LKW aufgeladen wurden und ist
zusammengebrochen. Sie schrie noch: "Nehmt mich doch auch mit".
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- Nach meiner Erinnerung sind wir
anschließend in die Levetzowstraße gekommen. Das erste
zentrale Auffanglager. Das war ein Sortierlager, eine
Sortierstelle. Ich bin mir nicht sicher, ob es die
Levetzowstraße war. Ich weiß es nur aus den
Erzählungen meines Vaters, als er mal darüber gesprochen
hatte.
-
- In der Levetzowstraße
mußte mein Vater mit meiner Schwester und mir, rechts und
links seine Kinder, antreten vor irgend so einem .... ja das wird
ein Gestapo-Mann gewesen sein, er war in Zivil mit einem
Ledermantel - ich seh' den Kerl noch heute vor mir mit der Pfeife
im Mund. Dem gegenüber mußte sich mein Vater
vorstellen: "Jude Fritz Israel Kuhn mit Rita Sarah und Hans
Israel". Der Kerl guckte meinen Vater an und machte mit der Pfeife
ein Zeichen: entweder nach rechts oder nach links. Nachher sagte
mein Vater mir: die eine Richtung bedeutete "in die
Rosenstraße" und die andere Richtung vielleicht schon zum
... Zug". Das weiß ich nicht so genau. Ich vermute das. Es
sollen ja auch damals Leute in die Lager gebracht worden sein,
obwohl sie so wie wir von ihren arischen oder christlichen
Ehepartnern geschützt wurden.
-
- Wir sind dann von der
Levetzowstraße in die Rosenstraße gekommen. Da waren
wir über Nacht. Wir wurden von einem jungen SS-Mann
"betreut", der uns gesagt hatte, daß unsere Frauen
draußen für uns demonstrieren. (Ich weiß nicht,
ob er "demonstrieren" oder "protestieren" gesagt hat.) Es wundert
mich heute noch, daß dieser SS-Mann fast einen Stolz in
seiner Stimme hatte, daß das in Deutschland möglich
ist, daß sich also Frauen für ihre Männer oder
Kinder so einsetzen. Ja, das war ein SS-Mann, der speziell
für die "Betreuung" der Kinder abgestellt war.
-
- Wir waren mehrere Kinder. Ich
glaube Jungen und Mädchen wurden getrennt. Ich kann mich
nämlich nicht an die Anwesenheit meiner Schwester erinnern.
Ich erinnere mich nur an die anderen Kinder, alles Jungs in meinem
Alter. Von meinem Vater war ich auf jeden Fall getrennt. Die
Männer lagen extra. Wir hatten also von dem Protest vor dem
Haus durch diesen SS-Mann erfahren. Der lief auf dem Flur lang,
äußerte sich darüber. Wir selber hatten keinen
Blickkontakt nach draußen und hörten nichts von
draußen.
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- Als Dreizehnjähriger war
ich mir bei dieser Aktion überhaupt keiner Gefahr
bewußt. Ich hatte irrsinnige Angst vor den Bomben. Das
weiß ich genau. Aber keine vor den Nazis. Warum ich vor den
Nazis keine Angst hatte, ist eine Frage, die ich mir in den
vergangenen Jahre oft gestellt habe, aber nie beantworten
konnte.
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- Am nächsten Morgen durften
wir nach Hause. Ohne meinen Vater. Mein Vater ist nach uns
gekommen. Wir sind aus der Rosenstraße 'rausgegangen und weg
waren wir. Mit 13 ist man ja nicht unbeweglich. Ich bin mit meiner
Schwester zusammen vom Bahnhof Börse nach Hause gefahren.
Also zum S-Bahnhof Charlottenburg.
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- Da ist noch ein Punkt, an den
ich mich genau erinnern kann: wir hatten ja damals den Judenstern
tragen müssen. Und ich habe nun vor der Wahl gestanden, vom
Bahnhof Börse bis nach Charlottenburg laufen zu müssen -
weil uns das S-Bahn-Fahren verboten war - oder, mit der S-Bahn zu
fahren. Das hieß: den Stern abzureißen. Ich hab mich
zum Stern abreißen entschlossen und bin dann mit der S-Bahn
nach Hause gefahren. Von diesem Zeitpunkt an habe ich den gelben
Stern nicht mehr getragen.