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- Aus den Erinnerungen von Ruth
Gross
- 1943 war Ruth Gross
Schülerin. Sie geht zur Rosenstrasse, nachdem ihr Vater, der
Fotograf Abraham Pisarek, dort inhaftiert worden war.
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Ruth Gross (rechts) und ihre Freundin Rahel (Foto: Abraham
Pisarek)
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- Bei der sogenannten
»Fabrik-Aktion« am 27. Februar 1943 wurden ca. 7000
Juden, die sich in Berliner Betrieben in Zwangsarbeit befanden,
morgens früh kurz nach Arbeitsbeginn In den Fabriken
verhaftet. Alle Juden mußten auf den Fabrikhöfen
antreten und wurden dann auf offenen Lastwagen abtransportiert
in
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- 4 Sammelstellen: 2 Kasernen,
das Konzerthaus Clou und In das Verwaltungsgebäude der
Jüdischen Gemeinde Rosenstrasse 2-4. Die »arisch
Versippten«, dh. die in »Mischehe« lebenden Juden,
darunter auch unser Vater, wurden in der Rosenstrasse eingesperrt.
Sie wurden in den kleinen Räumen zu so vielen eingepfercht,
daß nicht einmal Platz war, um auf dem Boden zu sitzen. Aus
dem Krankenhaus Iranische Straße, das noch funktionierte,
hat man Kübel mit Wassersuppe zu ihrer notdürftigsten
Ernährung herbeigebracht, denn sie blieben dort viele Tage.
Die meisten der bei dieser Aktion Verhafteten wurden
anschließend deportiert.
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- Aber mit den arisch
Verheirateten in der Rosenstraße geschah etwas
Merkwürdiges. Sie wurden zum großen Teil wieder
entlassen und kamen wieder in Zwangsarbeit. Unser Vater erschien
am frühen Morgen des 6. März zu Hause, mager, unrasiert,
übernächtigt, aber mit einem Entlassungszettel. Gleich
anschließend mußte er sich auf unserem Polizeirevier
melden. Seit Kriegsbeginn mußte jeden Dienstag auf der
Meldestelle des Reviers seine Anwesenheit beglaubigt werden. Was
war der Grund für diese Entlassungen? Man hätte doch die
Leute nicht zu verhaften brauchen, wenn man sie nach ein paar
Tagen wieder in dieselben Lebensumstände zurückentlassen
wollte. Vom Morgen des 28. Februar an und dann alle Tage, solange
die Männer dort eingesperrt waren, versammelt sich um das
Haus in der Rosenstraße Dutzende von arischen Frauen und
Kindern, gingen schweigend auf und ab, starrten das Haus an,
sprachen leise miteinander.
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- Nachdem wir an dem 27. Februar
vergeblich an der S-Bahn Oranienburger Straße auf unseren
Vater gewartet hatten, war mein Bruder zu der Fabrik gefahren, die
er natürlich verschlossen fand. Irgendjemand dort
erzählte ihm aber von dem Abtransport der Juden am Morgen und
bis zum Abend wußten wir, daß sie in der
Rosenstraße waren. Wir hatten ja kein Telefon mehr, also
fuhren wir mit der S-Bahn zu verschiedenen betroffenen Frauen, die
wir kannten. Und so sagte es eine der anderen weiter. Wir wurden
immer wieder von Polizisten von der Straße vertrieben, aber
wir kamen immer wieder.
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- Die Frauen verteilten sich in
den angrenzenden kleinen Straßen und nach einer Weile waren
sie wieder da. Wir gingen mehrmals am Tag dorthin und immer trafen
wir Frauen an, die auch dort standen.
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- Manchmal wurden wir bei dem
»Ordner« in Zivil, der vor der Tür des Hauses
stand, ein Stullenpäckchen los. Ich habe meinen Vater hinter
einem Fenster entdeckt, er hat mit dem Zettelchen gewinkt, das wir
zu den Broten getan hatten. Sie waren also angekommen.
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- An der Ecke war eine
Litfaßsäule, an der stand ich immer, denn von dort
konnte ich genau das Fenster beobachten, hinter dem manchmal mein
Vater zu sehen war. Wenn wir von dem Platz verscheucht wurden,
konnte ich mich an der Litfaßsäule immer länger
halten, weil die Polizei nicht von allen Seiten kam. Sie wollten
offensichtlich mit dem Vertreiben der Frauen kein
zusätzliches Aufsehen erregen.
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- Nachts nach den
Fliegerangriffen, die gerade zu der Zeit sehr heftig waren, ging
ich auch zur Rosenstraße, um zu sehen, ob das Haus noch
stand. Solange die Menschen dort waren, passierte nichts. Heute
steht das Haus nicht mehr. Es wurde bei einem späteren
Fliegerangriff zerstört. Diese Demonstration war der einzige
öffentliche Protest gegen Deportationen, den es in
Deutschland gab.
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- Aus: Rosenstrauch, Hazel (Hrsg)
(1991) Aus Nachbarn wurden Juden. Ausgrenzung und Selbstbehauptung
1933-1942. Mit Fotos von Abraham Pisarek, Erinnerungen von Ruth
Gross und Briefen der Familie Königsberg. Berlin: Transit. S.
127-130
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