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Aus den Erinnerungen von Siegfried Cohn, zitiert nach: Die Juden in Deutschland 1933-1945, München 1989, S. 593f.

Es ist der 27. Februar 1943. Ein klarer, milder Wintertag. Ich bin auf dem Wege zu meiner Zwangsarbeitsstätte bei Osram, Helmstadter Straße. Die Arbeitszeit beginnt um 7.00 Uhr ...
[...]
 
Plötzlich kommt ein arischer Arbeiter zu mir und flüstert mir zu: "Du, ihr werdet jetzt alle abgeholt, die Gestapo ist im Hause!" Ich erwidere ihm, daß er keinen Quatsch erzählen soll und gehe [...] in meine Etage, in der besonders viel Zwangsarbeiter beschäftigt sind.
 
Als ich nach oben komme, bemerke ich ein unruhiges Hin- und Herlaufen und als ich einen Arbeitskollegen, einen früheren Amtsgerichtsrat, frage, was los ist, sagt er mir, daß alle Juden ihre persönlichen Sachen nehmen sollen und sich unten im Parterre im Casino zu versammeln haben. Ich nehme meine Mappe, in der ich mein Frühstück habe, meine Joppe und Mütze und begebe mich in den vorbezeichneten Raum. Dort sitzen an einem Tisch mehrere Herren (Gestapo-Beamte) und eine Anzahl SS-Leute läuft hin und her. Nachdem alle jüdischen Zwangsarbeiter, Frauen und Männer, in diesem Raum versammelt sind, die Zahl beträgt, wenn ich mich recht erinnere ungefähr 150 bis 200 Personen, wird jeder einzelne aufgerufen und von der Gestapo leibesvisitiert. Bei dieser Gelegenheit nimmt man mir ein Taschenmesser ab und bringt uns zu zwei großen, auf dem Hof befindlichen Lastkraftwagen, und dann fahren die vollbesetzten Wagen, in denen man so dicht gedrängt stehen muß, daß eine Bewegung unmöglich ist, nach einer Kaserne in Moabit.
 
Dort werden die in Mischehen Lebenden von den in volljüdischen Lebenden getrennt. Wir, die in Mischehe Lebenden, bekommen einen weißen Zettel umgehängt, während die in volljüdischer Ehe von dort aus gleich den Weg in das Konzentrationslager anzutreten haben.
 
Wir, mit Karten markierten, werden wieder auf Lastautos geladen und von dort nach der Rosenstraße befördert.
 
Beim Ausladen erhalten diejenigen, die nicht schnell genug vom Wagen springen, Fußtritte von der SS-Begleitmannschaft.
 
In der Rosenstraße werden wir auf Zimmer verteilt und zwar so, daß man beim Schlafen so dicht gedrängt, wie Sardinen in einer Büchse zusammenliegt.
 
Die Verhältnisse in der Rosenstraße sind unbeschreiblich.
 
In dem Raum, in dem etwa 40 bis 50 Menschen schlafen sollen, sind vielleicht 10 Strohsäcke, so daß die Mehrzahl der Insassen auf der blanken Erde liegen müssen. Die Toiletten sind in einem unbeschreiblichen Zustand. wenn man seine Notdurft befriedigen muß, so muß man sich ungefähr 3 Stunden anstellen, und das Entwürdigendste daran ist, daß Männer und Frauen dieselben Toiletten benutzen müssen, ohne daß es möglich ist, die Tür zu diesem Raum zu schließen."