home | info | veranstaltungen| interviews | fotos| texte | links | filmliste | bücherregal | impressum
 
Von Litfaßsäulen und der Kraft "entschlossenen Widerstandes"
von Peter Krahulec
 
Quelle: http://www.studienkreis-widerstand-1933-45.de/archiv/xxbuch/bb052.html
 
Die gravierendste Fehlanzeige vorneweg: Auch das renommierte und ansonsten verdienstvolle "Lexikon des Deutschen Widerstandes" von Wolfgang Benz und Walter Pehle (1994) kennt sie nicht, die Frauen der Berliner Rosenstraße (wohl aber "Die Frauen des 20. Juli", S. 156) - von Friedemann Bedürftigs (Jugend) "Lexikon 111. Reich" (1994) und vielem anderem mehr ganz zu schweigen. Warum taugt dies zum Vorwurf und zum neuerlichen Indikator der von Ralph Giordano so benannten "zweiten Schuld"?
 
Nun: jm März 1943 geschah in Berlin etwas Unglaubliches" - so Michael Wildt (in der ZEIT vom 18.7.1997) anläßlich der ersten Rezension des hier näher zu würdigenden Grundlagenbuches über den Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße. Am 27. Februar 1943 hatte unter dem Tamnamen "Fabrikaktion" die großangelegte Deportation der letzten Berliner Juden begonnen. Die SS trieb alle Juden, die noch in Fabriken Zwangsarbeit leisteten, in Sammellagem zusammen; sogenannte "Mischlinge", die rnit"arischen" Partnern verheiratet waren oder "arische" Elternteile hatten, kamen in die Rosenstraße 2-4 ' dem ehemaligen jüdischen Wohlfahrtsamt im Scheunenviertel.
 
Doch es geschah in Nazi-Deutschland Einmaliges: Zwölf Tage und zwölf Nächte lang protestierten, demonstrierten zeitweilig bis zu 6.000 Frauen vor dem Gestapo-Deportationszentrum, wichen auch nicht vor aufgebauten Maschinengewehren, bis die Gestapo alle 2.500 Internierten freiließ. Selbst 25 Juden, die bereits nach Auschwitz deportiert waren, kamen wieder zurück'.
 
"Die Litfaßsäule, die damals hier stand, wurde für eine Woche mein strategisch wertvoller Stammplatz", erinnert sich Ruth Gross. Sie war "ein besonders günstiger Platz für mich, weil ich bei den Versuchen der Polizei, die Frauen zu vertreiben, nur langsam um die Litfaßsäule herumzugehen brauchte, um nicht beachtet zu werden."
 
"Etwas unliebsame Szenen" - notierte Goebbels unter dem 6. März 1943 in seinem Tagebuch, skandalöserweise auf lange Zeit der einzige Publikationsvermerk ... "So unglaublich das Faktum selber, so unglaublich auch seine Ignorierung", schreibt Vera Gaserow 1995 in der ZEIT (Nr. 42 vom 13.10.1995): "Der antifaschistischen DDR war der nichtkommunistische Widerstand suspekt, der Bundesrepublik paßte der spontane Frauenprotest nicht in ein Geschichtsbild, das Widerstand gegen Hitler nur als Sache der Männer des 20.Juli zur Kenntnis nehmen wollte. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinde begegnete man der Protestaktion mit gemischten Gefühlen, weil sie nur denen das Leben rettete, die das Glück hatten, einen arischen' Ehepartner zu haben. Und nicht zuletzt stellte der Frauenprotest die unbequeme Frage: Was hätte etwas Zivilcourage nicht noch alles verhindern können?"
 
Erst 1985 recherchierte der 32-jährige Harvard-Absolvent Nathan Stoltzfus bei ZeitzeugInnen "der Rosenstraße" ("Als ich 1985 in Berlin eintraf . .., beschäftigte sich außer mir niemand mit diesem Projekt", S. 387), aber er stieß auf eine durch Geschichtswerkstätten und oral history neu sensibilisierte Gegenöffentlichkeit.
 
StudentInnen der Berliner FH für Sozialarbeit erforschten, durch Stoltzfus angeregt, zwei Semester lang die Ereignisse vom März 1943. Das Haus Nr. 2-4 steht nicht mehr. Darum stellten die StudentInnen 1992 erneut eine Litfaßsäule vor Ort auf und beklebten sie mit ihren gesammelten Informationen und organisierten eine Begleitausstellung im Kulturhaus Mitte mitsamt Berichten von Überlebenden. Diese Litfaßsäule stand nur vier Wochen. Zum 50. Jahrestag der "Rebellion" jedoch, wie die Studierenden das Ereignis nannten, wurde sie am 27. Februar 1993 erneut aufgestellt, und die Grundrisse des verschwundenen Gebäudes in der jetzigen Sackgasse wurden markiert.
 
Eine neue Auflage erfuhr im gleichen Jahr aus gleichem Anlaß in der Edition Hentrich ein als Jugendbuch konzipierter Tatsachenroman des Politologen und Friedensforschers Gernot Jochheim "Frauenprotest in der Rosenstraße".
 
Im Oktober 1995 schließlich wurde am historischen Ort in der heute von häßlichen Plattenbauten aus DDR-Zeiten gesäumten, nur fünfzig Meter kurzen Straße ein Denkmal eingeweiht, daß die damals 79-jährige Bildhauerin jüdischer Herkunft Ingeborg Hunzinger erstellte. In drei hohe purpurfarbene Quader 
aus Vulkangestein sind Figuren gehauen und die Wörter gemeißelt: "Die Kraft des zivilen Ungehorsams und die Kraft der Liebe bezwingen die Gewalt der Diktatur". (vgl. auch informationen Nr. 48, November 1998)
 
Und dann endlich, 1996, erschien das monumentale, schon lebenswerklich zu nennende Opus von Nathan Stoltzfus, mittlerweile Dozent für Moderne Europäische Geschichte an der Florida State University: "Resistance of the Heart.
Intermarriage and the Rosenstrasse Protest in Nazi Germany" bei W.W. Norton & Cornpany in London. Und schlussendlich auch die deutsche Ausgabe 1999. Wie ein Schlussstein passt hierzu. dass am März 1999 die Berliner Topographie des Terrors" erneut eine Litfasssäule in der Rosenstraße placierte und die oben erwähnte Ruth Gross die zitierte Gedenkrede hielt.
 
Die zentrale Hintergrundthese zur Stoltzfus'schen minutiösen Bestandsaufnahme lautet kurz zusarnmengefasst: Das NS-Regime beruhte zu einem großen Teil auf der Konsensbereitschaft der Bevölkerung. Und deshalb vermittelt dieser Protest "eine sehr zwiespältige Botschaft: Er zeigt, dass einige Deutsche in der Tat dem Holocaust Widerstand entgegengesetzt haben, er wirft aber gleichzeitig die Frage auf, warum, wenn offensichtlich die Möglichkeit dazu bestand, es nicht mehr Menschen waren, die so handelten." (S. 387) Diese Frage wird verstärkt durch eine Feststellung von Hannah Arendt aus ihrem Eichmannbericht zur "Banalität des Bösen": "Gerade bei den Leuten in der Gestapo und der SS paarte sich Rücksichtslosigkeit keineswegs mit Härte; auch die Rücksichtslosesten unter ihnen zeigten eine erstaunliche Neigung umzufallen, sobald sie mit entschlossenem Widerstand konfrontiert waren worunter sie gewaltfreien, offenen Widerstand verstand. Und sie fährt (wenn auch aus anderem Anlaß) fort: "Es wäre von größtem praktischen Nutzen für Deutschland, nicht nur für sein Prestige im Ausland, sondem für eine Wiedererlangung des inneren Gleichgewichts, wenn es mehr derartige Geschichten zu erzählen gäbe. Denn die Lehre solcher Geschichten ist einfach, ein jeder kann sie verstehen. Sie lautet, politisch gesprochen, dass unter der Bedingung des Terrors die meisten Leute sich fügen, einige aber nicht." 
 
Stoltzfus erzählt in "Widerstand des Herzens" solche Geschichten von größtem praktischen Nutzen gültig. Deshalb meine emphatische Leseempfehlung für sein bedeutendes Buch (und der kleine Wunsch, daß es bald eine billigere Taschenbuchausgabe finden möge).
 
Aber er gibt uns allen die Kopfnuß mit: "Nur einem einzigen Protest gegen die Deportation von Juden gab das Regime nach - aber es hat auch nur diesen einen Protest gegeben. Hätten weitere Kundgebungen dieser Art den Abtransport und die Vernichtung der Juden Deutschlands aufhalten oder gar beenden können?" (S. 345) Eine weitere Frage des Autors dürfte gerade im Kontext des "Studienkreises Deutscher Widerstand" auf Interesse stoßen. "Ohne Zweifel sind sie ("die Deutschen, die für ihre jüdischen Angehörigen gekämpft haben", heißt es weiter oben) ,Retter'. Sind sie aber auch Widerstandskämpfer'? Wenn sie das wären, würden sie uns dazu zwingen, unsere Vorstellung vom Widerstand oder der Möglichkeit eines Widerstands in Nazideutschland zu korrigieren." (S. 354)
 
Die Standarddefinition von "Widerstand" - Stoltzfus folgt der von Peter Hoffmann (1984) - kennt nur den zentral organisierten, ideologisch motivierten Versuch, das Regime in seiner Gesamtheit zu stürzen. In Konsequenz kommt Stoltzfus zu der bestürzenden Conclusio: "Vielleicht gab es überhaupt keine Deutschen, die das Regime an der Ausübung seiner Macht hinderten. Wenn es sie doch gab, dann schränkte keine andere Gruppe das Regime in einem größeren oder einem bedeutenderem Maße in seiner Handlungsfreiheit ein als die Deutschen, die in Mischehe lebten. Durch ihren bürgerlichen Ungehorsam ... hielten sie das Regime davon ab, in diesem Einzelfall seine radikalsten Ziele in die Tat umzusetzen, sie blockierten seine Kampagne zur jassischen Säuberung' des deutschen Volkes und retteten so Tausende von Menschenleben. Und dies war eine großartige bewunderungswürdige Leistung.---"

Von -Frauen, die ihr Leben riskierten---, fährt Stoltzfus später fort ..und deren eigenes Leben daher von größter Bedeutung war" (S. 371) - Die geschlechtsspezifische Debatte im engeren freilich führt der verdienstvolle Autor nicht.

 
Milgram hatte seinerzeit bei seinen legendären Experimenten zur Gehorsamsbereitschaft keinen signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen gefunden. Aber das ist ein weites Feld und wäre ein neues (wichtiges) Buch.
 
Nathan Stoltzfus: Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße - 1943. München, Wien: Carl Hanser, 1999
 
Peter Krahulec