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- Walter Laqueur
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- Aus: Laqueur, Walter (1982)
Jahre auf Abruf. Stuttgart. S. 167-172.
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- (...) Als ich weiterging, wurde
ich plötzlich Zeuge einer Szene, wie ich sie in Deutschland
viele Jahre nicht mehr erlebt hatte: einer spontanen Demonstration
... es kam mitten im Krieg in Deutschland zu einer kleinen
Rebellion.
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- Die nicht-jüdischen
Ehefrauen und Kinder der Verhafteten' fanden schnell heraus, worum
es ging, und begannen, sich vor dem Sammellager in der
Rosenstraße aufzustellen. Am ersten Morgen war es nur ein
Dutzend. Sie verlangten, mit ihren Männern sprechen zu
dürfen. Ihr Verlangen wurde nicht erfüllt, aber sie
blieben. Gegen Abend kampierten einige hundert vor dem Tor und
riefen: >Wir wollen unsere Männer wiedersehen< und
>Gebt uns unsere Väter frei!<. Am nächsten Tag
wuchs die Zahl auf etwa tausend an, und sie wurden zu einem
beträchtlichen Ärgernis, da sie Delegationen zum
nahegelegenen Polizeirevier und sogar ins Hauptquartier der
Gestapo schickten.
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- Die Behörden waren
erstaunlich zuvorkommend, sogar höflich. Es sei kein Grund
zur Aufregung, hieß es, noch sei nichts entschieden; man
werde die Sache noch einmal überprüfen. Aber die
Ehefrauen gaben sich mit solch unverbindlichem Geschwätz
nicht zufrieden: Was sollte denn überprüft werden? Sie
wollten ihre Männer auf der Stelle wiederhaben.
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- Als die Beamten sagten, die
Leute könnten noch nicht freigelassen werden, schlugen die
Frauen vor, sie wollten bei ihren Männern im Gefängnis
bleiben. Man gab ihnen zur Antwort, das sei nicht zulässig,
da die Männer sich im Arrest befänden. Die Frauen
entgegneten, die Rosenstraße sei kein Gefängnis, und
sie hätten das Recht, das Gebäude zu betreten. Der
Führer werde ganz gewiß ein solch gesetzeswidriges
Vorgehen nicht billigen ... Die Beamten wußten nicht, was
sie darauf antworten sollten, und wandten sich an ihre
Vorgesetzten um neue Instruktionen. Durch ganz Berlin verbreitete
sich das Gerücht, mitten im Stadtzentrum gebe es eine
Demonstration, die Leute widersetzten sich den Behörden.
Einige ausländische Korrespondenten - Schweden und Schweizer
- tauchten schon in der Nachbarschaft auf, natürlich ganz
unauffällig, sie kamen nur zufällig vorbei.
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- Es waren auch ein paar
Polizisten da, aber sie versuchten nicht aufzufallen. Von Zeit zu
Zeit fuhr eine Limousine mit herabgelassenen Gardinen zum
Sammelpunkt. Irgendein hoher Amtswalter kam zur Beratung oder
erteilte neue Instruktionen. Ein Teil der Menge zog weiter in eine
andere kleine Straße, die Burgstraße. Sie kam vor
einem der ersten Häuser zum Stehen, einem unauffälligen
Bürogebäude ohne Namensschild und Firmenzeichen an der
Fassade und auch ohne Leuchtreklame - es war das
Bezirkshauptquartier der Gestapo.
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- Ich hatte in meinem Leben schon
manche Menschenansammlung beobachtet und wußte, daß
eine jede anders ist. Die Menge heute morgen war diszipliniert,
wollte aber offensichtlich ihr Recht durchsetzen. Es war eine
Menge, die hauptsächlich aus Frauen und Kindern bestand, und
sie wußten, was sie wollten. Sie riefen im Chor: >Gebt
uns unsere Männer heraus.< Es war eine erstaunliche Szene
- eine Szene ohne vorausgegangene Proben. Arme Frauen, dachte ich,
wie lange würden sie sich hier halten können, wenn erst
die Polizei oder die SS auftauchte? Die Frauen waren verzweifelt,
sie hatten nichts zu verlieren, und wenn es ein Massaker deutscher
Frauen mitten in Berlin und mitten im Krieg gegeben hätte,
was dann? Man hätte es nicht lange geheimhalten können,
und welchen Eindruck hätte es auf die Soldaten gemacht, die
auf den eisigen Feldern Rußlands kämpften? Vielleicht
hatten sie doch eirie Chance ... Aber ich konnte nicht länger
bleiben. Ich wurde in der Hamburger Straße
erwartet.
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