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Der Aufstand der Frauen
von Georg Zivier
 
In: Sie, Nr. 2, Dez. 1945, S.1-2.
Entnommen aus: Jochheim, Gernot (2002) Frauenprotest in der Rosenstrasse Berlin 1943. Berichte - Dokumente - Hintergründe. Teetz: Hentrich & Hentrich. S. 36-38.
 
 
(...) Durch das Nürnberger Gesetz »zum Schutze von Blut und Ehre« wurde eine Zwangsvorstellung legitimiert. (...)
 
Zwischen die blonde Unschuld und die erwähnten »kralligen Finger« schob sich als sperrende Barriere das Zuchthaus. (...) Die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung zwischen Christen und Juden, wurde aufgesagt. Die früher geschlossenen Ehen durften bestehen bleiben, in der Hoffnung möglicherweise, sie würden von selbst in die Brüche gehen.
 
Aber Trotz ist ein guter Kitt und Liebe nicht minder, und als lebendiges Ärgernis für jeden »echten Nationalsozialisten« hielten sich die christlichen Frauen an der Seite ihrer jüdischen Männer. Durch ein langes Jahrzehnt teilten sie mit ihnen und ihren Kindern, die das Gesetz zu »Mischlingen« machte, ein Elendsleben ohnegleichen.
 
Wer in den Städten und wer in der Länderweite weiß um diese Leben, das, von zynischen Amtsbütteln kontrolliert, Jahr und Jahr an Bitternis zunahm, dessen Demütigungen am frühen Morgen begannen, wenn der Bäckeriunge die Wohnungstür mit dem Stern überging, weil »Juden und ihrem Anhang« nichts ins Haus geliefert werde durfte, dessen Werktag von hundert ähnlichen Schikanen diktiert wurde und dessen Nächte im Zeichen der Gefahr standen, längst ehe es Luftangriffe gab, weil die Gestapo mit Vorliebe die Nachtstunden für ihre »Abholungen« wählte. Wer weiß von diesen Abholungen, Einzelaktionen zunächst, scheinbar willkürlich geführt, die hier den Gatten und Vater, dort den eben mündigen Sohn trafen. Waren sie aus dem Heim gerissen, so wanderten sie den Weg, von dem es kein Zurück gab, und die Mutter, die Ehefrau griff ins Leere bei ihren Versuchen, Beistand und Hilfe zu finden, ja auch nur eine fundierte Auskunft zu erhalten.
 
Während der sogenannten »Brunner-Aktion« wurden in einem ganzen Straßenkomplex des Berliner Westens die sterntragenden Männer aus »Mischehen« ins Gefängnis geworfen und von da aus nach Auschwitz gebracht. Den zurückgebliebenen christlichen Frauen wurde auf der Gestapo achselzuckend angeraten, sich endlich von »dem Juden« scheiden zu lassen, eine Aufforderung, die ihnen die Behörden häufig und oft in grobbeleidigender Form zuteil werden ließen. Die Gefangenen der »Brunner-Aktion« vertrugen die Luft von Auschwitz nicht lange. Nach einigen Wochen bereits konnte ein Polizeibeamter den Frauen die Mitteilung machen, daß durch das Ableben des jüdischen Teiles der Haushalt nunmehr als »arisch« gelten dürfe.
 
Wer weiß von der »Brunner-Aktion«, wer kümmerte sich um das Los der tapferen christlichen Ehellebsten des deutschen Juden - der schöne schweizerische Ausdruck hätte eigens für sie geprägt sein können -, die sich weder durch Lockungen noch durch Bedrohungen irre machen ließ.
 
Aber einmal hätte der Blick des gesamten Volkes sich auf das Schicksal der Geächteten lenken müssen. Das war an einem grauen Tage des Jahres 1943. Die Gestapo hatte sich zu einer Großaktion entschlossen. An den Portalen der Industriebetriebe hielten die Kolonnen der zeltplanverdeckten Lastwagen. Sie hielten auch vor vielen Privathäusern.
 
Einen ganzen Tag lang sah man sie in den Straflen fahren, von SS mit Karabinern dicht eskortiert. Wer hinzusehen wagte, wird das Bild nie vergessen: die schweren Fahrzeuge, unter deren Verdeckung die Konturen zusammengepferchter Menschen sich abzeichneten und die SS, die, teils mit drohender Miene, teils mit dümmlichem Triumphatorenlächeln, hintenauf stand. An diesern Tage wurden ausnahmslos sämtliche in Deutschland lebenden Juden verhaftet und zunächst in Massenlager gebracht, es war der Anfang vom Ende.
 
Die Umwelt senkte den Blick, mit Gleichgültigkeit die einen, andere vielleicht mit einem flüchtigen Gefühl des Schauderns und der Scham.
 
Der Tag ging weiter, man war im Kriege, eroberte Provinzen, »machte Geschichte«, war mit den Jahrtausenden auf du und du. Und es entging der Öffentlichkeit das Auflodern einer kleinen Fackel, an der ein Feuer des allgemeinen Widerstands gegen Tyrannenwillkür sich vielleicht hätte entzünden können.
 
Die Geheime Staatspolizei hatte aus den riesigen Sammellagern der zusammengebrachten jüdischen Einwohnerschaft von Berlin die »arisch Versippten« aussortieren und in einen Sondergewahrsam in der Rosenstraße bringen lassen. Es lag völlig im unklaren, was mit ihnen geschehen würde.
 
Da griffen die Frauen ein. Bereits in den Morgenstunden des nächsten Tages hatten sie den Aufenthalt ihrer Männer aufgespürt und wie auf Verabredung, wie auf einen Ruf hin erschienen sie in Massen vor dem improvisierten Gefängnis. Vergeblich bemühten sich die Beamten der Schutzpolizel, die Demonstrantinnen - etwa 6000 - abzudrängen und auseinanderzubringen. Immer wieder sammelten sie sich, drängten sie vor, riefen sie nach ihren Männern - die sich, strengen Verboten zum Trotz, am Fenster zeigten - und forderten Freilassung.
 
Die Pflichten des Arbeitstages unterbrachen die Kundgebungen für Stunden. Aber am Nachmittag war der Platz wieder dicht übersät, und die anklägerischen, fordernden Rufe der Frauen wuchsen mächtig über den Lärm der Straße empor: leidenschaftliche Bekenntnisse zu einer Liebe, die sich in einem Leben der Bitternis gefestigt hatte.
 
Das Hauptquartier der Gestapo lag in der Burgstraße, unweit des Platzes der Demonstrationen. Ein paar Maschinengewehre hätten die aufständischen Frauen davonfegen können, aber die SS schoß nicht, diesmal nicht. Erschreckt über einen Vorfall, der in der Epoche des Dritten Reiches nicht seinesgleichen hatte, ließ sich die Burgstraße auf Verhandlungen ein, man beschwichtigte, machte Zusicherungen und gab die Männer schließlich frei.
 
In der Staatsdoktrin des Dritten R-eichs stand als erster Artikel die These: alle Menschen seien entweder durch Vorteile käuflich oder durch Drangsalierungen zu zermürben. Die christlichen Frauen, die während der letzten zwölf Jahre zu ihren jüdischen Männern hielten, haben diesen Lehrsatz widerlegt, indem sie jede Furcht vergaßen, sich durch Demütigungen und Terror nicht beugen ließen, wurden sie zu Lebensrettern ihrer Männer und ihrer Kinder und haben der Welt bewiesen, daß auch ein Hitler nicht alle Keime des Guten in Deutschland abtöten konnte.
 
Anmerkung: Nicht nur Zivier, auch andere Zeitzeugen sprechen bei der Fabrik-Aktion von „Brunner-Aktion". Sie gingen damals davon aus, Alois Brunner habe diese Deportierungen geleitet. Er befand sich aber in dieser Zeit nicht in Berlin. Vgl. Jochheim (2002, 40).